Höchstrichterliche Weichenstellung: BGH legitimiert zwangsweise Smartphone-Entsperrung mittels Fingerabdruck – Eine kritische Analyse der verfassungsrechtlich bedenklichen Rechtsprechungsentwicklung

Der Bundesgerichtshof hat mit seinem wegweisenden Beschluss vom 13. März 2025 (Az. 2 StR 232/24) eine jahrelang umstrittene Rechtsfrage endgültig entschieden und dabei eine verfassungsrechtlich bedenkliche Linie der Instanzgerichte bestätigt. Die höchstrichterliche Entscheidung, die die zwangsweise Entsperrung biometrisch gesicherter Smartphones durch Ermittlungsbehörden legitimiert, stellt einen gravierenden Einschnitt in die digitalen Grundrechte dar und überdehnt bestehende Ermächtigungsgrundlagen weit über ihren ursprünglichen Anwendungsbereich hinaus1. Diese Rechtsprechung etabliert de facto einen grundrechtslosen Raum für biometrisch geschützte Daten und schafft eine problematische Zweiklassengesellschaft digitaler Sicherheit, die je nach gewählter Authentifizierungsmethode unterschiedliche Schutzstandards gewährt.

Die höchstrichterliche Bestätigung einer fragwürdigen Rechtsprechungslinie

Der BGH-Fall: Systematische Grundrechtsverletzungen im Namen der Strafverfolgung

Der dem BGH-Beschluss zugrunde liegende Sachverhalt offenbart die ganze Tragweite der höchstrichterlichen Entscheidung. Ein bereits 2019 wegen kinderpornographischer Delikte verurteilter und mit einem lebenslangen Berufsverbot belegter Erzieher hatte sich trotz dieses Verbots erneut als privater Babysitter betätigt und dabei kinderpornographisches Material von den betreuten Kindern angefertigt1. Bei der am 12. März 2021 durchgeführten Wohnungsdurchsuchung verweigerte der Beschuldigte die freiwillige Entsperrung seiner beiden Smartphones. Die Polizeibeamten legten daraufhin seinen rechten Zeigefinger unter Anwendung unmittelbaren Zwangs auf die Fingerabdrucksensoren der Geräte und verschafften sich so Zugang zu den belastenden Dateien1.

Die Schwere des zugrundeliegenden Tatvorwurfs darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich hierbei um eine grundsätzliche verfassungsrechtliche Weichenstellung handelt, deren Auswirkungen weit über Einzelfälle hinausreichen. Der BGH hat mit seiner Entscheidung einen Präzedenzfall geschaffen, der künftig bei sämtlichen Straftaten Anwendung finden kann, sofern die Verhältnismäßigkeitsprüfung entsprechend ausfällt. Die höchstrichterliche Legitimation dieser Praxis eröffnet den Ermittlungsbehörden damit ein mächtiges Instrument zur Umgehung technischer Sicherheitsvorkehrungen.

Bestätigung der OLG Bremen-Rechtsprechung: Vom Einzelfall zur höchstrichterlichen Doktrin

Bereits das Hanseatische Oberlandesgericht Bremen hatte mit seinem Beschluss vom 8. Januar 2025 (Az. 1 ORs 26/24) als erstes Obergericht die zwangsweise Smartphone-Entsperrung mittels Fingerabdruck für rechtmäßig erklärt2. Der BGH folgte nun dieser Rechtsprechungslinie und erhob sie zur bundesweit verbindlichen Doktrin. Diese Entwicklung ist umso bemerkenswerter, als sie sich über erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken und eine geteilte Literaturmeinung hinwegsetzt. Die höchstrichterliche Bestätigung der OLG Bremen-Entscheidung zeigt, dass es sich nicht um einen bedauerlichen Einzelfall handelt, sondern um eine bewusste rechtspolitische Weichenstellung zugunsten erweiterter Ermittlungsbefugnisse.

Der BGH argumentiert dabei mit der „technikoffenen“ Formulierung des § 81b Abs. 1 StPO und seiner Anpassungsfähigkeit an moderne technische Entwicklungen1. Diese Begründung verkennt jedoch fundamental, dass Gesetze nicht beliebig ausdehnbar sind und der Gesetzgeber bei technologischen Neuerungen gefordert ist, spezifische Regelungen zu schaffen. Die höchstrichterliche Legitimation einer solchen extensiven Gesetzesauslegung untergräbt das Bestimmtheitsgebot und die Gewaltenteilung.

Fundamentale dogmatische Kritik an der BGH-Entscheidung

Zweckentfremdung des § 81b StPO: Von der Identifikation zur Entschlüsselung

Die gravierendste dogmatische Schwäche der BGH-Entscheidung liegt in der eklatanten Zweckentfremdung des § 81b Abs. 1 StPO. Diese Vorschrift wurde ursprünglich zur Identifikation von Beschuldigten konzipiert, insbesondere für den Abgleich mit Tatortspuren oder zur späteren Wiedererkennung12. Der BGH dehnt nun den Anwendungsbereich auf die Verwendung biometrischer Merkmale als „Schlüssel“ zu digitalen Datenbeständen aus – eine Funktion, die mit dem ursprünglichen Normzweck nichts gemein hat.

Diese Auslegung ignoriert bewusst den Unterschied zwischen der Erhebung biometrischer Daten zu Identifikationszwecken und ihrer instrumentellen Nutzung zur Überwindung technischer Sicherheitsbarrieren. Während § 81b StPO die Frage „Wer ist diese Person?“ beantworten soll, dient die zwangsweise Smartphone-Entsperrung ausschließlich dem Zweck „Was verbirgt diese Person?“. Diese fundamentale Zweckverschiebung hätte eine spezifische gesetzliche Ermächtigungsgrundlage erfordert, die der Gesetzgeber bewusst nicht geschaffen hat.

Die höchstrichterliche Rechtsprechung umgeht diese legislative Lücke durch eine problematische Analogiebildung, die den Grundsatz der strikten Gesetzesbindung strafprozessualer Eingriffsbefugnisse missachtet. Der BGH konstruiert dabei eine „ähnliche Maßnahme“ im Sinne des § 81b StPO, ohne dass eine tatsächliche Vergleichbarkeit der Eingriffsziele und -methoden gegeben wäre1.

Künstliche Aufspaltung: Die problematische Trennung von Entsperrung und Datenzugriff

Besonders problematisch erscheint die vom BGH vorgenommene künstliche Aufspaltung des Eingriffs in zwei separate Rechtsakte: die Entsperrung des Geräts (gestützt auf § 81b StPO) und den anschließenden Datenzugriff (gestützt auf §§ 94, 110 StPO)1. Diese Konstruktion wirkt nicht nur dogmatisch gekünstelt, sondern verkennt die praktische Realität des Eingriffs. Die Entsperrung eines Smartphones erfolgt ausschließlich zu dem Zweck, Zugang zu den darauf gespeicherten Daten zu erlangen. Sie stellt keinen eigenständigen Ermittlungsakt dar, sondern ist lediglich ein technischer Zwischenschritt zur Überwindung digitaler Sicherheitsbarrieren.

Die BGH-Konstruktion führt zu dem paradoxen Ergebnis, dass die Intensität des Gesamteingriffs bei der rechtlichen Bewertung der einzelnen Teilakte keine angemessene Berücksichtigung findet. Der Fingerabdruck wird isoliert betrachtet als „harmlose“ biometrische Datenerhebung bewertet, während der eigentliche Zweck – der Zugriff auf höchstpersönliche Datenbestände – rechtlich ausgeklammert wird. Diese Betrachtungsweise widerspricht dem verfassungsrechtlichen Gebot einer ganzheitlichen Grundrechtsbetrachtung und führt zu einer systematischen Unterschätzung der Eingriffsintensität.

Erosion der Selbstbelastungsfreiheit: Das Ende des nemo-tenetur-Grundsatzes?

Der BGH begründet die Vereinbarkeit der Zwangsmaßnahme mit der Selbstbelastungsfreiheit mit dem Argument, diese schütze nur vor „aktiver Mitwirkung“ an der eigenen Überführung, nicht aber vor dem „passiven Dulden“ von Ermittlungsmaßnahmen1. Diese Differenzierung erweist sich bei näherer Betrachtung als unhaltbar und führt zu einer systematischen Aushöhlung des nemo-tenetur-Grundsatzes.

Die Unterscheidung zwischen „aktiv“ und „passiv“ kann nicht allein am äußeren Erscheinungsbild der Maßnahme festgemacht werden. Entscheidend ist vielmehr die funktionale Rolle des Beschuldigten im Beweisgewinnungsprozess. Bei der zwangsweisen Smartphone-Entsperrung wird der Beschuldigte unmittelbar zum Schlüssel für die Überwindung der von ihm selbst errichteten Sicherheitsbarrieren instrumentalisiert. Sein Körper wird zum Beweismittel gegen ihn selbst, was dem Kerngehalt der Selbstbelastungsfreiheit widerspricht.

Die BGH-Rechtsprechung schafft damit eine problematische Zweiklassengesellschaft digitaler Sicherheit: Während alphanumerische Passwörter weiterhin unter dem Schutz des nemo-tenetur-Grundsatzes stehen, werden biometrische Authentifizierungsmethoden diesem Schutz entzogen. Diese Unterscheidung entbehrt jeder sachlichen Rechtfertigung und führt zu dem absurden Ergebnis, dass die Sicherheit persönlicher Daten vom Zufall der gewählten Entsperrmethode abhängt.

Verfassungsrechtliche Bedenken und europarechtliche Probleme

Unzureichende Bestimmtheit der Ermächtigungsgrundlage

Die verfassungsrechtlichen Probleme der BGH-Entscheidung beginnen bereits bei der mangelnden Bestimmtheit der herangezogenen Ermächtigungsgrundlage. § 81b Abs. 1 StPO ermächtigt zu erkennungsdienstlichen Maßnahmen „zur Durchführung des Strafverfahrens“ – eine Formulierung, die nach der BGH-Auslegung praktisch jede denkbare Verwendung biometrischer Daten legitimieren könnte. Diese extensive Auslegung genügt nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit von Eingriffsermächtigungen.

Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt betont, dass Ermächtigungsgrundlagen für Grundrechtseingriffe hinreichend bestimmt sein müssen, um dem Betroffenen die Tragweite des Eingriffs erkennbar zu machen und der Exekutive klare Handlungsgrenzen zu setzen. Die BGH-Interpretation verwässert diese Anforderungen und eröffnet den Ermittlungsbehörden einen praktisch unbegrenzten Handlungsspielraum bei der Nutzung biometrischer Daten.

Verletzung der Menschenwürde durch Instrumentalisierung

Die zwangsweise Smartphone-Entsperrung mittels Fingerabdruck berührt auch den Kernbereich der Menschenwürde. Der Beschuldigte wird dabei zum bloßen Objekt staatlicher Ermittlungstätigkeit degradiert und seine körperlichen Merkmale werden gegen seinen Willen als Werkzeug zur Überwindung seiner eigenen Schutzmaßnahmen missbraucht. Diese Instrumentalisierung des menschlichen Körpers zu Beweiszwecken bewegt sich gefährlich nah an der Grenze zur Verletzung der Menschenwürde.

Besonders problematisch ist dabei, dass der Zwang nicht auf die bloße Duldung einer Untersuchung beschränkt bleibt, sondern den Beschuldigten aktiv zum Werkzeug seiner eigenen Überführung macht. Der Fingerabdruck fungiert als personalisierter Schlüssel, der ausschließlich durch die Mitwirkung des Beschuldigten seine entsperrende Wirkung entfalten kann. Diese Form der Selbstinstrumentalisierung steht im Widerspruch zu den Grundprinzipien eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens.

Europarechtliche Unvereinbarkeit mit der Datenschutz-Grundverordnung

Der BGH behauptet, seine Entscheidung sei mit der EU-Richtlinie 2016/680/EU und der einschlägigen EuGH-Rechtsprechung vereinbar1. Diese Einschätzung erweist sich bei näherer Betrachtung als unzutreffend. Die Richtlinie fordert für besonders eingriffsintensive Datenverarbeitungen wie den Zugriff auf private Kommunikationsgeräte spezifische gesetzliche Ermächtigungsgrundlagen und effektive Schutzmaßnahmen.

Die vom BGH konstruierte Ermächtigungsgrundlage genügt diesen Anforderungen nicht. § 81b StPO wurde für völlig andere Zwecke konzipiert und enthält keine spezifischen Schutzvorschriften für den Zugriff auf private Datenbestände. Die extensive Auslegung dieser Vorschrift umgeht die europarechtlichen Schutzstandards und verstößt gegen das Erfordernis einer „klaren und präzisen“ gesetzlichen Grundlage für derartige Eingriffe.

Praktische Auswirkungen für die Strafverteidigung

Neue Beratungspflichten und veränderte Verteidigungsstrategien

Die BGH-Entscheidung zwingt uns Strafverteidiger zu einer grundlegenden Neuausrichtung unserer Beratungstätigkeit. Mandanten müssen nun von uns darüber aufgeklärt werden, dass biometrische Sicherheitsverfahren keinen effektiven Schutz mehr gegen staatliche Zugriffe bieten. Die Empfehlung kann nur lauten, für sensible Daten ausschließlich alphanumerische Passwörter zu verwenden, da diese weiterhin unter dem Schutz der Selbstbelastungsfreiheit stehen.

Diese Entwicklung führt zu einer paradoxen Situation: Während die Smartphone-Hersteller aus Sicherheitsgründen biometrische Authentifizierungsmethoden forcieren, raten wir Strafverteidiger unseren Mandanten nun zur Rückkehr zu weniger benutzerfreundlichen, aber rechtlich besser geschützten Verfahren. Die BGH-Rechtsprechung konterkariert damit technologische Sicherheitsfortschritte und zwingt rechtskundige Bürger zu suboptimalen Sicherheitslösungen.

Präventivmaßnahmen und prozessuale Strategien

In der konkreten Verteidigungspraxis müssen wir Strafverteidiger unsere Mandanten über die neuen rechtlichen Realitäten informieren. Dazu gehört die Aufklärung darüber, dass Widerstand gegen die zwangsweise Entsperrung nicht nur aussichtslos ist, sondern zusätzliche Strafbarkeitsrisiken nach § 113 StGB begründen kann. Die BGH-Entscheidung macht deutlich, dass physischer Widerstand gegen die Maßnahme als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gewertet wird.

Gleichzeitig eröffnet die Entscheidung neue prozessuale Angriffspunkte. Verteidiger können die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme im konkreten Einzelfall in Frage stellen und auf die Einhaltung der vom BGH formulierten strengen Voraussetzungen pochen. Insbesondere die Erforderlichkeit einer richterlichen Durchsuchungsanordnung, die explizit auch das Auffinden von Mobiltelefonen umfasst, bietet Ansatzpunkte für prozessuale Rügen.

Rechtsvergleichende Betrachtung und internationale Entwicklungen

Die US-amerikanische Rechtsprechung als problematisches Vorbild

Die deutsche Rechtsprechungsentwicklung orientiert sich erkennbar an der US-amerikanischen Praxis, wo Gerichte bereits seit Jahren zwischen biometrischen und wissensbasierten Authentifizierungsmethoden unterscheiden. US-Gerichte haben wiederholt entschieden, dass der Fifth Amendment-Schutz gegen Selbstbelastung nicht für biometrische Entsperrmethoden gilt, da diese nicht die Preisgabe von „testimonial evidence“ erfordern.

Diese Übertragung US-amerikanischer Rechtsgrundsätze auf das deutsche Rechtssystem verkennt jedoch die unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Traditionen und Schutzstandards. Das deutsche Grundgesetz gewährt einen umfassenderen Schutz der Selbstbelastungsfreiheit und der informationellen Selbstbestimmung, der nicht durch eine oberflächliche Übertragung amerikanischer Rechtsprechung ausgehöhlt werden darf.

Europäische Divergenzen und die Notwendigkeit einer harmonisierten Lösung

Innerhalb der Europäischen Union herrscht bislang keine einheitliche Rechtspraxis zum Umgang mit biometrisch gesicherten Geräten. Während deutsche Gerichte nun zur zwangsweisen Entsperrung tendieren, verfolgen andere EU-Mitgliedstaaten restriktivere Ansätze. Diese Divergenz ist problematisch, da sie zu unterschiedlichen Schutzstandards für digitale Grundrechte innerhalb der EU führt und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Strafsachen kompliziert.

Eine harmonisierte europäische Lösung müsste die spezifischen Herausforderungen digitaler Beweiserhebung anerkennen und gleichzeitig einheitliche Mindeststandards für den Grundrechtsschutz etablieren. Die deutsche Rechtsprechung bewegt sich mit ihrer extensiven Auslegung bestehender Ermächtigungsgrundlagen jedoch in die entgegengesetzte Richtung und erschwert eine europaweit koordinierte Rechtsentwicklung.

Notwendige gesetzgeberische Intervention

Das Erfordernis spezifischer digitaler Ermächtigungsgrundlagen

Die BGH-Entscheidung macht deutlich, dass der Gesetzgeber dringend gefordert ist, spezifische Ermächtigungsgrundlagen für digitale Ermittlungsmaßnahmen zu schaffen. Die bestehenden strafprozessualen Vorschriften stammen aus einer Zeit, in der Smartphones und biometrische Authentifizierung unbekannt waren. Ihre extensive Auslegung durch die Rechtsprechung führt zu verfassungsrechtlich problematischen Ergebnissen und rechtlicher Unsicherheit.

Eine sachgerechte gesetzliche Regelung müsste die spezifischen Herausforderungen digitaler Beweiserhebung anerkennen und gleichzeitig angemessene Schutzvorschriften für die Betroffenen vorsehen. Dazu gehören differenzierte Eingriffsschwellen je nach Schwere der verfolgten Straftat, spezifische Verfahrensgarantien und wirksame Kontrollmechanismen. Die aktuelle Rechtspraxis überlässt diese grundlegenden Entscheidungen der Rechtsprechung und verlagert damit legislative Verantwortung auf die Justiz.

Verfassungsrechtliche Mindestanforderungen an eine Neuregelung

Eine verfassungskonforme Neuregelung der zwangsweisen Smartphone-Entsperrung müsste mehrere Grundanforderungen erfüllen. Zunächst bedarf es einer klaren und bestimmten Ermächtigungsgrundlage, die den Anwendungsbereich und die Eingriffsvoraussetzungen präzise definiert. Die derzeitige Praxis der extensiven Auslegung bestehender Vorschriften genügt den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen nicht.

Zweitens müssen angemessene Verfahrensgarantien vorgesehen werden, die eine effektive Kontrolle der Maßnahme gewährleisten. Dazu gehört insbesondere ein qualifizierter Richtervorbehalt, der nicht nur die formale Anordnung, sondern auch eine substantielle Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall umfasst. Die aktuelle Praxis, bei der die Entsperrung als Annex zur allgemeinen Durchsuchungsanordnung erfolgt, wird diesen Anforderungen nicht gerecht.

Fazit und Ausblick: Die Digitalisierung des Grundrechtsschutzes

Eine verpasste Chance für verfassungskonformen Grundrechtsschutz

Die BGH-Entscheidung stellt eine verpasste Chance dar, den Grundrechtsschutz in der digitalen Welt zu stärken und zeitgemäße Standards für die Beweiserhebung im Internetzeitalter zu entwickeln. Stattdessen legitimiert der BGH eine problematische Praxis der extensiven Gesetzesauslegung und schafft Präzedenzfälle, die künftig weitere Grundrechtseinschränkungen ermöglichen könnten.

Die höchstrichterliche Rechtsprechung zeigt exemplarisch, wie der technologische Wandel genutzt wird, um bestehende Ermittlungsbefugnisse über ihre ursprünglichen Grenzen hinaus auszudehnen. Diese Entwicklung ist verfassungsrechtlich bedenklich und rechtsstaatlich problematisch, da sie die Gewaltenteilung zwischen Legislative und Judikative untergräbt und grundlegende Schutzprinzipien aushöhlt.

Die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Debatte über digitale Grundrechte

Die BGH-Entscheidung zur zwangsweisen Smartphone-Entsperrung ist mehr als nur eine technische Rechtsfrage – sie berührt fundamentale Prinzipien des Rechtsstaats und der Menschenwürde im digitalen Zeitalter. Die schleichende Erosion digitaler Grundrechte durch eine unkritische Rechtsprechung erfordert eine breite gesellschaftliche Debatte über die Grenzen staatlicher Ermittlungsmacht und den Schutz der Privatsphäre.

Solange der Gesetzgeber nicht tätig wird und spezifische Regelungen für digitale Ermittlungsmaßnahmen schafft, bleibt die problematische BGH-Rechtsprechung maßgeblich. Für Bürger und Strafverteidiger bedeutet dies eine weitere Verschlechterung der Rechtslage und die Notwendigkeit, sich auf eine Zukunft einzustellen, in der biometrische Sicherheitsverfahren keinen effektiven Schutz mehr vor staatlichen Zugriffen bieten. Die Frage bleibt: Sollte das Smartphone als digitales Abbild unserer Persönlichkeit nicht einen besonderen prozessualen Schutz genießen, der über die antiquierten Regelungen der erkennungsdienstlichen Behandlung hinausgeht? Der BGH hat diese Frage leider im Sinne einer schrankenloseren Strafverfolgung beantwortet – zum Nachteil des verfassungsrechtlich gebotenen Grundrechtsschutzes.

Zitate:

  1. https://ppl-ai-file-upload.s3.amazonaws.com/web/direct-files/attachments/44508947/c8c24e27-be93-4c35-aa35-5841f80e5137/2_str_232-24a.pdf
  2. https://ppl-ai-file-upload.s3.amazonaws.com/web/direct-files/attachments/44508947/fcbaf0af-c547-4058-88ac-a0ff1124ab8e/Blogbeitrag_Zwang_Fingerabdruck.docx
  3. https://www.wbs.legal/allgemein/erstes-hoechstrichterliches-urteil-bgh-erlaubt-zwangsweises-fingerauflegen-zur-handyentsperrung-83003/
  4. https://www.computerbild.de/artikel/cb-News-Internet-Zwangsweise-Handy-Entsperrung-per-Fingerabdruck-rechtens-39727487.html
  5. https://www.beckmannundnorda.de/serendipity/index.php?%2Farchives%2F7230-BGH-Entsperrung-eines-Mobiltelefons-durch-das-zwangsweise-Auflegen-des-Fingers-des-Beschuldigten-kann-von-Befugnisnorm-81b-Abs.-1-StPO-gedeckt-sein.html
  6. https://www.mactechnews.de/news/article/BGH-Smartphone-Entsperrung-durch-zwangsweises-Auflegen-des-Fingers-rechtmaessig-187250.html
  7. https://datenbank.nwb.de/Dokument/1069159/
  8. https://linuxundich.de/android/bgh-urteil-zwang-entsperrung-fingerabdruck-biometrie-rechtmassig/
  9. https://www.chip.de/nachrichten/geld-finanzen-recht,125853/gericht-hat-entschieden-polizei-darf-per-fingerabdruck-entsperren-auch-gewaltsam_eb021866-d352-4418-ad5a-447c3ae5647b.html
  10. https://www.beckmannundnorda.de/serendipity/index.php?%2Farchives%2F7100-OLG-Bremen-Entsperrung-eines-Mobiltelefons-durch-das-zwangsweise-Auflegen-des-Fingers-des-Beschuldigten-kann-von-Befugnisnorm-81b-Abs.-1-StPO-gedeckt-sein.html
  11. https://innen.thueringen.de/fileadmin/Publikationen/PiT/pit_3_24.pdf
  12. https://www.strafrecht-digital.com/landgericht-ravensburg-nutzung-von-fingerabdruecken-zur-entsperrung-beschlagnahmter-mobiltelefone-ist-rechtmaessig/
  13. https://www.unternehmensstrafrecht.de/olg-bremen-zwangsweise-smartphone-entsperrung-mittels-fingerabdrucks-zulaessig/
  14. https://www.strafrecht-digital.com
  15. https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/2str23224-bgh-auflegen-finger-entsperren-handy-ermittlungen-dateien
  16. https://www.datenschutz.org/bgh-urteil-polizei-darf-unter-zwang-handy-per-fingerabdruck-entsperren/
  17. https://de.wikipedia.org/wiki/Beweisverbot
  18. https://www.strafrechtsiegen.de/zwangsweise-entsperrung-eines-mobiltelefons-durch-auflegen-eines-fingers-eines-beschuldigten/
  19. https://www.golem.de/news/fingerabdruck-bgh-erlaubt-zwangsweise-entsperrung-von-smartphones-2505-196542.html
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  21. https://www.meine-news.de/aschaffenburg/c-blaulicht/fingerabdruck-zwang-bei-smartphone-entsperrung-bgh-urteil-sorgt-fuer-kontroversen_a204781
  22. https://www.strafrechtsiegen.de/entsperren-mobiltelefon-mit-zwangsweise-abgenommenen-fingerabdruck/
  23. https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/bgh-2str232-24-zwangsweise-entsperrung-smartphone-fingerabdruck
  24. https://www.jura.cc/rechtstipps/zwangsweise-entsperrung-von-mobiltelefonen-durch-fingerabdruck-rechtliche-bewertung-nach-%C2%A7-81b-abs-1-stpo/
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  26. https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/archiv/24-03/hrrs-3-24.pdf
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  28. https://www.oberlandesgericht.bremen.de/sixcms/media.php/13/1-ORs-24-026%20(anonymisiert).pdf
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  30. https://www.bundestag.de/webarchiv/textarchiv/2019/kw45-pa-recht-nichtzulassungsbeschwerde-665536
  31. https://www.dvjj.de/wp-content/uploads/2024/01/ZJJ_04-23_Thiel_Sicherstellung-und-Beschlagnahme-von-Mobiltelefonen-bei-Kindern-und-Jugendlichen.pdf
  32. https://www.heise.de/news/BGH-erlaubt-Handy-Entsperrung-durch-erzwungenen-Fingerabdruck-10395716.html
  33. https://preubohlig.de/newsletter/deutliche-kritik-am-bundesverfassungsgericht-nach-beschluss-zum-epgue/
  34. https://www.bdk.de/der-bdk/was-wir-tun/aktuelles/entsperrung-des-mobiltelefons-beim-beschuldigten-weiterhin-zwangsweise-moeglich
Werner Ruisinger

Als Fachanwalt für Strafrecht in Augsburg bin ich insbesondere für folgende Bereiche im Strafrecht tätig: Betäubungsmittelstrafrecht, Kapitalstrafrecht, Wirtschaftsstrafrecht, Verkehrsstrafrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht und Jugendstrafrecht. Ein weiterer Schwerpunkt meiner Tätigkeit in unserer Anwaltskanzlei ist Verkehrsrecht.

Als Fachanwalt für Strafrecht in Augsburg bin ich insbesondere für folgende Bereiche im Strafrecht tätig: Betäubungsmittelstrafrecht, Kapitalstrafrecht, Wirtschaftsstrafrecht, Verkehrsstrafrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht und Jugendstrafrecht. Ein weiterer Schwerpunkt meiner Tätigkeit in unserer Anwaltskanzlei ist Verkehrsrecht.