Viele anerkannte Flüchtlinge in Deutschland stehen irgendwann vor derselben Frage: Darf ich meine Familie im Herkunftsland besuchen oder riskiere ich damit meinen Schutzstatus?
Widerrufsverfahren nach § 73 AsylG: Wenn das BAMF von der Reise erfährt
Was auf den ersten Blick wie ein rein menschliches Bedürfnis wirkt, hat rechtlich eine erhebliche Tragweite. In meiner Praxis häufen sich derzeit Fälle, in denen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Widerrufsverfahren nach § 73 Asylgesetz einleitet, weil jemand mit einem Reiseausweis für Flüchtlinge oder auf anderem Wege in sein Herkunftsland gereist ist oder eine solche Reise über soziale Medien bekannt geworden ist.
Der Hintergrund ist simpel: Der Flüchtlingsstatus basiert auf der Annahme, dass dem Betroffenen im Herkunftsstaat Verfolgung droht. Eine freiwillige Rückreise wird vom BAMF regelmäßig als Indiz dafür gewertet, dass diese Gefahr offenbar nicht mehr besteht oder dass sich der Betroffene wieder unter den Schutz seines Heimatstaates gestellt hat. Beides ist geeignet, den Widerruf des Status nach sich zu ziehen.
Was viele Mandanten überrascht: Es braucht dafür keinen langfristigen Aufenthalt. Schon ein kurzer Besuch wegen einer Beerdigung oder eines schwer erkrankten Angehörigen kann ausreichen. Wenn Behörden oder Gerichte später davon erfahren – sei es über Grenzkontrollen, über Auskunft von Drittstaaten wie der Türkei oder den Vereinigten Arabischen Emiraten oder schlicht über öffentlich sichtbare Inhalte auf Facebook, TikTok oder Instagram – wird das BAMF in vielen Fällen prüfen, ob die Voraussetzungen für den Schutzstatus noch vorliegen. In der Folge kann nicht nur der Flüchtlingsstatus selbst aufgehoben werden. Mit dem Widerruf steht regelmäßig auch der Aufenthaltstitel auf dem Spiel. In bestimmten Fallkonstellationen prüfen Ausländerbehörden darüber hinaus, ob aufenthaltsbeendende Maßnahmen bis hin zur Ausweisung in Betracht kommen.
Das bedeutet nicht, dass jeder Heimatreise automatisch der Entzug des Status folgt. Es gibt Fälle, in denen sich ein Widerruf verhindern lässt. Insbesondere dann, wenn zwingende humanitäre oder familiäre Gründe vorlagen und diese sauber dokumentiert sind, ist in der Praxis durchaus möglich, den Schutzstatus zu verteidigen. Dennoch bleibt der Risikobereich groß. Für jede Einzelperson hängt viel davon ab, was vor der Reise bedacht und vorbereitet wurde und welche Nachweise später verfügbar sind. Wer solche Reisen ohne vorherige rechtliche Prüfung unternimmt, setzt sich bewusst einer Gefahr aus, die mit der bloßen Reiseabsicht den meisten gar nicht bewusst ist.
Rechtsberatung vor der Reise: Alternativen prüfen und Risiken minimieren
Aus anwaltlicher Sicht ist deshalb jede geplante Reise in das Herkunftsland ein Vorgang, der vorab bewertet werden muss. In manchen Konstellationen gibt es Alternativen, etwa durch die Bevollmächtigung von Verwandten im Ausland oder durch virtuelle Teilnahme an familiären Ereignissen. In anderen Fällen kann es sinnvoll sein, zwingende Gründe frühzeitig zu dokumentieren, um später gegenüber dem BAMF argumentieren zu können. Entscheidend ist, den Schritt nicht unvorbereitet zu gehen. Die meisten Probleme entstehen nicht durch die Reise selbst, sondern durch das Fehlen juristischer Vorsorge.
Der Besuch von Familie im Herkunftsstaat ist für viele Flüchtlinge emotional nachvollziehbar, rechtlich aber einer der gefährlichsten Schritte, die sie unternehmen können. Wer plant zu reisen, sollte zuvor eine rechtliche Einschätzung einholen. In vielen Fällen lassen sich schwerwiegende Folgen verhindern – aber nur dann, wenn frühzeitig und nicht erst nach Einleitung eines Widerrufsverfahrens reagiert wird.
Als Fachanwalt für Strafrecht verteidige ich Sie in allen Teilbereichen des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts. Zudem bin ich Experte im Ausländerrecht und berate in Deutsch, Italienisch, Englisch und Französisch.

